Veränderung des Sozialgefüges

Die Vorstellung, dass im 19. Jahrhundert die Industriepioniere mit Profitwillen und Expansionsdrang über bäuerlich geprägte, „unberührte“ Ortschaften hereinbrachen, ist einseitig. In Dörfern wie zum Beispiel Nenzing, deren Bevölkerung regelmäßig saisonal auswärts Arbeit suchen musste, war die Ansiedlung eines Industriebetriebs ein erstrebenswertes Ziel.

Manche Dorfbewohner verdienten auch ganz gut mit der Betriebsansiedlung, durch die sie Grundstücke, Wasserrechte, Waldbesitz oder Gebäude oft um ein Mehrfaches des ursprünglichen Wertes verkaufen konnten. Durch den Erlös aus den Verkäufen kamen auch Gemeinden zu Kapital, mit dem sie Schulden tilgen, eine Schule oder ein Armenhaus errichten konnten.1 Kreishauptmann Johann Nepomuk Ebner (1790–1876), der Chronist der Industrialisierung in Vorarlberg, wunderte sich in diesem Zusammenhang über die Unternehmer in Thüringen, die teils stark überzogene Preise zahlten.2

Ein weiterer Konfliktherd zwischen Unternehmen und Gemeindevorstehungen war, wenn man so will, das Umweltthema. Es ging nicht um Umweltschutz im heutigen Sinn, sondern meist ganz handfest um die Auswirkungen von Wasserverschmutzung auf die Mitnutzer eines Gewässers. Die Gemeinden bezogen ihr Trinkwasser oft aus denselben Bächen, die auch industriell genutzt wurden.

Positiv betrachtet wurden die Beteiligungen der Industriellen an öffentlichen Bauprojekten der Gemeinde, die nicht direkt mit der Fabrik zu tun hatten und der gesamten Bevölkerung zugute kamen. Kindergärten, Turnhallen, Bibliotheken und andere öffentliche Einrichtungen entstanden oft unter Beteiligung der Fabriksbesitzer.

  • 1. Weitensfelder, Industrieprovinz, S. 220
  • 2. Die „k.k. privilegierte Spinnerey und Weberey“ in Thüringen: eine Quellensammlung zur Industriege­schichte des Walgaues / hg. v. Herbert Benauer u. Christoph Volaucnik, Feldkirch 1988, S. 12