Eine „alte“ Industrieregion?

Zunächst stellt sich die Frage, wieso gerade der Walgau bereits Anfang des 19. Jahrhunderts für Investoren und erste Fabrikanten interessant war.

Eine große Rolle spielte die Wasserkraft, sie war am Anfang der Industrialisierung immer das Hauptkriterium der Standortwahl. Erst mit dem verstärkten Einsatz effizienter Turbinen statt Wasserräder und dem Einsatz von Dampfmaschinen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden die Betriebe unabhängiger von Bächen mit ihrer ungleichmäßigen Wassermenge und Qualität.

Bevor sich ein Unternehmer für einen Standort konkret zu interessieren begann, wurde die Wassersituation geprüft. Genauso wie heute gab es schon eine Art Standortscouts, die die Unternehmer diesbezüglich berieten.1

So gesehen herrschten im Walgau mit zahlreichen von den Bergen gespeisten Bächen und der Ill als zentraler Wasserachse ideale Voraussetzungen für die Industrialisierung. Die vorhandene Wasserkraft war aber nutzlos, wenn nicht auch die Wasserrechte dafür erworben werden konnten. Daher waren Unternehmer besonders am Kauf bereits vorhandener Gewerbeanlagen, wie Mühlen oder Sägewerke, interessiert. Die industriell genutzten Wasserläufe im Walgau waren neben der Ill der Brunnenbach in Bludenz, der Alvierbach in Bürs, der Niezbach und der Stutzbach in Nüziders, der Mengbach in Nenzing, die Samina in Frastanz, der Gießenbach in Satteins und Schlins, der Schwarzbach und Montiola-Wasserfall in Thüringen und der Dabaladabach in Gais.

Schon bei den ersten Vorarlberger Industrieansiedlungen spielte auch die verkehrsmäßige Anbindung an die Transitrouten durch das Rheintal und über die Alpenpässe eine wichtige Rolle. 1821 bis 1824 wurde die Straße über den Arlbergpass ausgebaut. Auf Basis der Pläne von Alois Negrelli  wurden zahlreiche Straßen, auch in den entlegeneren Talschaften, projektiert.

Der Bau der Vorarlberg-Bahn zwischen Lindau und Bludenz bis 1872 und der Arlbergbahn bis 1884 wurde schließlich zum entscheidenden Impuls für die zweite Industrialisierungswelle und schloss Vorarlberg an Deutschland und an den Rest der Monarchie an.

 

  • 1. Reinhard Mittersteiner: Peripherie und Sozialismus: die Konstituierung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Vorarlberg (1889–1918), Diss. Wien 1988, S.4