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Ab 1830 erzeugte die mechanisierte Baumwollindustrie nahezu in ganz Vorarlberg eine nie da gewesene Aufbruchstimmung. Wer über einiges Kapital und Know how verfügte und zudem an Wasserrechte gelangte, stieg in diese Branche ein. Einheimische und Fremde beteiligten sich am Wettlauf um Rohstoff, Arbeitskräfte, Holz und Absatzmärkte. Im Walgau etablierten sich die Schweizer Familie Elmer mit Fabriken in Satteins und Schlins; der Schotte John Douglass mit einer Spinnerei und Weberei ab 1836 in Thüringen; der Feldkircher Unternehmer Carl Ganahl ab 1836 mit einer Färberei, Druckerei, Spinnerei und Weberei in Frastanz; die Firma Getzner Mutter und Cie mit einer Rotfärberei und Weberei in der Frastanzer Felsenau, einer Baumwollspinnerei in Nenzing und einer weiteren Weberei in Bürs; die Feldkircher Gießerei Grassmayr mit einem Zweigbetrieb und einer Spinnerei in Frastanz; Mathias Neyer eröffnete 1842 eine Jacquardweberei in Frastanz und der aus Thüringen stammende Johann Müller eine Färberei und Bleicherei in Bludesch-Gais. Waren von den Fabrikherren nur wenige zugewandert, so wurde die zweite Ebene wie Werkführer, Aufseher, Buchhalter und Facharbeiter in der Frühphase mehrheitlich im Ausland rekrutiert. Bei Elmer in Satteins stammten beispielsweise die Färbermeister aus dem Kanton Glarus, aus dem Elsass und aus Böhmen.1 Bei Ganahl in Frastanz arbeiteten so viele Schweizer Facharbeiter, die Mehrzahl aus dem Kanton Zürich, dass sie 1844 eine eigene Versicherungsgemeinschaft gründeten.2
Aber auch Hilfsarbeiter sowie Kinder wurden außerhalb des Landes angeworben. So weist etwa das Taufbuch von Thüringen zwischen 1838 und 1850 eine ganze Reihe ausländischer Eltern auf. Die überwiegende Zahl stammte aus Bergdörfern in Graubünden. Nur wenige von ihnen ließen sich endgültig am Fabrikort nieder. Der magere Verdienst und die Unterbringung in der Quasikaserne ermutigten nicht zum Bleiben. Zudem erhielten arme Arbeiter in der Regel in Vorarlberger Gemeinden kein Heimatrecht, da sie damit den Anspruch auf soziale vonseiten des Aufnahmeortes erworben hätten. Die Behörden zielten mit ihrer Migrationspolitik stets darauf ab, Arme loszuwerden und Reiche anzusiedeln. 57 offizielle Auswanderer aus Vorarlberg im Jahr 1854 exportierten insgesamt ein Vermögen von etwa 350 Gulden, während die wenigen Auswärtigen, die in eine Vorarlberger Gemeinde aufgenommen wurden, ein Vermögen von 20.000 Gulden einbrachten.3
Die enorme wirtschaftliche Dynamik durch die Industrialisierung hatte eine demografische Mobilität nie gekannten Ausmaßes zur Folge, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Massenbewegung steigerte. Die frühe Phase der Industrialisierung vermittelte erst eine Ahnung von den kommenden Wanderungen.
Die wachsende Industrie brachte auch in Gemeinden, die keine Fabrikstandorte waren, Bewegung. In den Betrieben von Ganahl und Getzner arbeiteten zeitweise Männer, Frauen und Kinder aus 20 verschiedenen Vorarlberger Ortschaften. Nie zuvor hatte es eine derart massive Binnenwanderung gegeben.
Neben der Zuwanderung von Facharbeitern und einer noch überschaubaren Menge an Hilfsarbeitenden finden sich in der Zeit bis etwa 1870 erst einzelne Personen aus dem Walgau, die einer industriellen Beschäftigung im Ausland nachgingen. In erster Linie waren es in der Heimat angelernte Kottondrucker, die sich nun andernorts als Facharbeiter verdingten. So etwa die Satteinser Alois Kühne in Linz und Ignaz Häusle in Mödling. Josef Ludescher und Alois Nigg aus Frastanz ließen sich ganz an ihren Arbeitsorten Pottendorf bzw. Graz nieder.4 Sie waren zugleich Vorboten einer kommenden Entwicklung: Die Industriestandorte zogen nicht nur Menschen an, sie veranlassten zugleich ab 1850 eine ansteigende Abwanderung.
- 1. Siehe Hubert Weitensfelder, Industrie-Provinz. Vorarlberg in der Frühindustrialisierung 1740 - 1870, Frankfurt 2001, S. 280.
- 2. Siehe Meinrad Pichler, „ … für den Krankheitsfall versichert.“ Entwicklung des Krankenversicherungswesens in Österreich am Beispiel Vorarlbergs. In Peter Melichar/Andreas Rudigier (Hg.), Auf eigene Gefahr. Vom riskanten Wunsch nach Sicherheit, Wien 2021, S. 411.
- 3. Siehe Meinrad Pichler, Auswanderer. Von Vorarlberg in die USA 1800 - 1938, S. 48 und S. 251.
- 4. Siehe Weitensfelder (wie Anm. 1), S. 281 f.
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