Hoffnungsland Amerika

Vor dem erhofften Paradies kam aber die gefährliche und strapaziöse Überfahrt im engen Zwischendeck von Segelschiffen, die erst um 1865 durch schnellere Dampfschiffe ersetzt wurden. Wie gefährlich die Überfahrt aber auch noch 1887 sein konnte, zeigt das tragische Schicksal der Ludescher Familie Josef Walter und Josefa Gassner und ihrer drei Kinder. Als bereits kurz nach Le Havre ihr Schiff im Nebel mit einem anderen kollidierte und zu sinken begann, sprang Walter mit zwei seiner Kinder in ein bereits überfülltes Rettungsboot, das unmittelbar darauf kenterte. Alle 20 Insassen ertranken. Trotzdem begab sich Josefa Walter-Gassner mit ihrem verbliebenen Kind auf das nächste Schiff, das sie glücklich nach New York beförderte.1 Als sie anschließend nach langer Eisenbahnreise in Wisconsin ankam, war ihr Onkel Michael Gassner (1818-1887), von dem sie sich eine Starthilfe erwartet hatte, eben verstorben.

Viele brachten es in Amerika durch Fleiß, Robustheit und Glück zu eigenen Farmen oder Betrieben, andere blieben so arm, wie sie den Walgau verlassen hatten. Martin Mösle, der 1852 Thüringen in Richtung Amerika verlassen hatte, zählte zu den Glücklichen, denn er besaß in den 1880er-Jahren in Iowa eine Farm mit 120 Hektar Land, auf der er 90 Kühe und Rinder, 12 Pferde und an die 100 Schweine hielt.2

Besonders für die Erstauswanderer gestaltete sich die Ankunft nur selten nach den Versprechungen der Schweizer Auswanderungsagenten. Der Frastanzer Alois Wiederin beschrieb in einem Brief aus dem Jahr 1855 seinen schwierigen Start in den USA: Am ersten Ort verdiente er zu wenig, am zweiten machte ihm das Klima zu schaffen und die US-Armee war auch nicht das, was er sich von Amerika erwartet hatte.3 Schließlich aber fand er im westlichen Iowa ein Stück Ackerland und eine Frau, ehe er als 43-Jähriger 1873 verstarb. In seiner Nähe ließ sich auch der Lehrer Johann Rauch (1823-1913) aus Nenzing nieder, der zuvor an sieben verschiedenen Orten im Umland von Dubuque/Iowa unterrichtet hatte. Er wurde jeweils durch Ordensschwestern ersetzt, weil diese die jeweiligen Gemeinden weniger kosteten. Aus den Briefen des Johann Rauch, der 1852 mit seiner jungen Frau und Dorfgenossin Anna Maria Mayer ausgewandert war, wird auch deutlich, dass sich die politischen Auseinandersetzungen, die in der alten Heimat mit der Formierung der politischen Lager begonnen hatten, auch in der Neuen Welt fortgesetzt wurden. Während des sonntäglichen Hochamtes in der Gemeinde Dyersville/Iowa, beklagte und schämte sich Rauch, hätten zwei Maurer aus Schnifis in die Kirche gerufen „tue recht und scheue niemand“. Das war der gängige Wahlspruch der Liberalen als Antwort auf die von den Katholisch-Konservativen geforderte Gottesfurcht. Auch im amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) kämpften Walgauer in den gegnerischen Armeen: So Jakob Borg aus Ludesch und Alois Latzer aus Nenzing auf Seite der Nordstaaten, während Andreas Ammann aus Nenzing 1863 als Soldat der Südstaaten fiel.

Das Hauptmotiv für die Auswanderung, zugleich als Resümee, beschrieb der Steinhauer Martin Walter aus Thüringen in einem Satz, der für die meisten Amerikamigrant:innen galt: „Wenn ich in dem armseligen Vorarlberg geblieben wäre, so wäre ich meines Lebtags zu nichts gekommen.“4 Die 13-jährige Berta Keckeis aus Thüringerberg bat ihre vorausgewanderte Tante in Iowa für sich und ihre Mutter um das Reisegeld nach Amerika, denn zu Hause hätten sie „nichts zu verlieren als dreckige Arbeit.“5 Aber auch in Amerika blieb sie schließlich nur Küchenhilfe. Sie, wie andere auch, war im deutschsprachigen Milieu geblieben; das bot eine gewisse soziale Geborgenheit, erschwerte aber einen Ein- oder gar Aufstieg im amerikanischen Arbeitsmarkt. Ein solcher war im städtischen Umfeld eher möglich und nötig als in den ländlichen Gebieten. Viele von den ins amerikanische Leben Integrierten hielten sich einen sentimentalen Türspalt in die Alte Welt offen, indem sie in einem deutschen Männerchor sangen. Der Maurer Johann Georg Malin (1845-1918) aus Göfis war aus der Schweiz nach Amerika weitergewandert, brachte es dort zum Saloonbesitzer und fungierte als Obmann des Dachverbandes deutscher Männerchöre von Wisconsin. Im Gegensatz zu den meisten anderen Amerikaauswanderer:innen konnte er sich 1904 einen Heimatbesuch leisten. Er war ein gemachter Mann, ein Selfmademan.

  • 1. Feldkircher Zeitung 14.5.1887 sowie Vorarlberger Volksblatt 14.5.1887 und 22.5.1887.
  • 2. Brief des Martin Walter vom 26.3.1888 aus St. Joseph/Missouri an seine Eltern in Thüringen.
  • 3. Siehe Vorarlberger Volksblatt 17.u. 24.8.1963.
  • 4. Brief des Martin Walter vom 16.11.1887 aus Springfield/Ohio an seine Eltern in Thüringen.
  • 5. Zit. nach Meinrad Pichler, Auswanderer. Von Vorarlberg in die USA 1800-1938, Bregenz 1993, S. 72.