Am Ausgang des Gamperdonatales liegen auf einem Hochplateau, dem Hohen Eck, die Überreste eines uralten Kastells. Der Sage nach soll von dort oben ein Hexenmeister über die Mengschlucht geflogen sein. An seinem Landeplatz starrt uns heute noch sein versteinertes Antlitz an. Auch Hexen sollen sich dort, am Bazuplatz beim Hexenstein, so heißt die Versteinerung mit den leeren Augenhöhlen, zum Tanz treffen. Wer aber hat das Kastell gebaut und zu welchem Zweck?
Stellfeder und die Sage vom Hexenstein
Der Limes, Bollwerk gegen die Barbaren, eine Art Chinesische Mauer, ist brüchig geworden. Jetzt verläuft die Grenze bedrohlich nahe entlang der Römerstraße von Brigantium (Bregenz) nach Campodonum (Kempten). Die römischen Kaiser Maximian und nach ihm Diokletian haben Ende des 3. Jahrhunderts große Mühe, in mehreren Feldzügen die Grenze wieder bis zu den Donauquellen vorzuschieben. Die Lage ist bedrohlich! Immerhin haben die Alemannen in den Jahren 259/60 Brigantium zerstört. So lange hat Frieden geherrscht, die Pax Romana. Nun regiert wieder der Kriegsgott Mars. Deshalb müssen überall neue Verteidigungsanlagen gebaut werden. In Sichtweite zueinander entstehen stark befestigte Türme, die bei Alemanneneinfällen eine schnelle Meldung ermöglichen sollen.
Auch in Nenzing entstand in dieser unruhigen Zeit auf dem sogenannten Hohen Eck ein befestigter Turm, ein Römisches Kastell. Der Ort auf 750 Meter Höhe wurde gut gewählt, denn man kann von dort oben fast den ganzen Walgau überblicken es bestand Sichtkontakt zu weiteren Kastellen bis zum Montikel bei Bludenz. Der Archäologe Zösmair hat die Mauerreste im Jahre 1885 entdeckt. Der heutige Name Stellfeder geht auf das lateinische Wort Castellveterum, (Kastell oder Burg der Alten) zurück. Außer ein paar Keramikscherben, die auch noch verloren gingen, konnte in dem Gemäuer nicht viel gefunden werden. Immerhin befanden sich in den Feuerstellen noch Knochenteilchen und Eierschalen. Auch eine große Menge verkohlter Samenkörner konnte man finden, wie zum Beispiel Rollerbsen, Würfelerbsen, Palerbsen, Ackerbohnen Gerste, Roggen, Saathafer und Hirse. Man möchte sich vorstellen, wie ein römischer Soldat sich am Herd eine Minestrone zubereitet. Er wird am offenen Feuer in einem Kupferkessel auch pulmentum gekocht haben, so nannten die Römer eines ihrer Hauptnahrungsmittel und ist heute unter dem italienischem Namen Polenta bekannt. Den Mais allerdings brachten erst die Spanier aus Amerika und so wurde dieser Getreidebrei vorwiegend aus Hirse zubereitet. Vielleicht kannte er auch den Vers aus Vergils Aeneis XII, 58 – 60, auf dem Wandverputz einer Terme in Brigantium:
… decus, imperiumque Latini
Te penes; in te omnis domus inclinata recumbit.
Unum oro: desiste manum committere Teucris.
In der Deutschen Übersetzung von Johann Heinrich Voß:
Glanz und Gewalt des Latinus trägst du;
auf dir ruht alles, der mächtigen Stütze des Hauses!
Dies nur fleh‘ ich, entsage mit Kampf zu begegnen den Teucrern!
Vielleicht hat auch er den Spruch an eine Mauer des Turmes oder über den Herd geschrieben und die Teucrern durch die gefürchteten Alemannen ersetzt. Jedenfalls hätte der Spruch seine Wirkung getan, denn es kam zu keinem Kampf. Der germanische Stamm kam erst viel später und auf friedlichem Wege in den Walgau.
Dennoch, von dem einstigen Kastell ist heute nicht mehr viel übrig. Als man im 19. Jahrhundert die ersten Ausgrabungen machte, glaubten viele Nenzinger, Stellveder sei die Burg der adeligen Herren von Nenzing gewesen. So können wir in Richard Beitls Sagenwald lesen:
Der Hexenstein
Auf dem Bazualplatz bei Nenzing ist ein Hexenstein: man sieht darauf ein großes Menschengesicht, das nicht künstlich ausgehauen wurde. - Der letzte Zwingherr auf Hohenegg bei Stellfeder ob Nenzing war ein Hexenmeister. Man sah ihn von der höchsten Tanne bei Schloß Hohenegg über die Mengschlucht auf den Hexenstein hinfliegen und unter demselben verschwinden.
Dieses Steingesicht ist etwa 70 x 70 cm groß und besteht aus Kalkstein. Doch seltsam, er gehört eigentlich gar nicht hierher. Er ist ein Fremdkörper inmitten von Flyschgestein. Die Frastanzer Schriftstellerin Jytte Dünser weiß zu dieser Sage noch zu berichten, dass bei den Verhören von Appenzeller Hexen stets zwei Landeplätze genannt wurden, einen in Vaduz und der zweite eben hier, auf dem Nenzingerberg.
Quellen
Anja Rhomberg: "Element Walgau" Schriftenreihe Band 2 Archäologie im Walgau 2004
Die spätrömische Befestigungsanlage Stellfeder
Karl Heinz Burmeister: Geschichte Vorarlbergs
1998 Verlag für Geschichte und Politik Wien
Vergil "Aeneis" aus dem lateinischen von Johann Heinrich Voß
2005 Anaconda Verlag GmbH Köln