Der Name Walgau entstand, als im südlichen Vorarlberg noch die rätoromanische Sprache vorherrschte. Die Rätoromanen wurden von den bereits deutsch oder vielmehr alemannisch sprechenden Rheintalern als „Walche“ oder „Welsche“ bezeichnet. Wie aber hieß der Walgau früher und warum bezeichnete man Romanen als Welsche? Was verbindet den Walgau namentlich mit den Walisern aus Wales und den Walsern aus dem Wallis?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, müssen wir uns zunächst mit dem gemeinsamen Wortstamm „wal“ beschäftigen. Zu diesem gehört das Adjektiv „welsch“, wie früher abwertend bei uns die Italiener bezeichnet wurden, während die Tiroler sie oft heute noch Walsche nennen.
Die Waliser
Die Suche nach der Herkunft dieses Wortstammes führt uns nun weit zurück in die Vergangenheit. Als die römischen Soldaten vor zweitausend Jahren Britannien eroberten, trafen sie auf die sehr kriegerischen Bewohner von Wales, die lange Widerstand leisteten. Sie wurden immer wieder in Scharmützel mit der aufsässigen Bevölkerung verwickelt. So bekamen diese Soldaten in Rom den Beinamen Waliser – ein Spitzname, der später auch für alle römischen Soldaten verwendet wurde, wo immer diese auftauchten, um die Grenzen ihres Weltreiches zu erweitern. Die Bezeichnung Waliser geht auf den keltischen Stamm der „volcae“ aus der heutigen Provence zurück, welche die Germanen „walha“ nannten. Dieser Name ging auf alle romanisierten Kelten und die römischen Soldaten über. Schließlich wurden alle romanischsprachigen Völker als „walha“ oder „walch“ bezeichnet.
Der Walgau wird romanisch
Zunächst zögerten die Römer, den Alpenraum zu erobern. Cicero bezeichnete die Alpen noch als einen von göttlicher Vorsehung eingerichteten Schutzwall Italiens gegen die nordischen Völker. Jedoch nach der Eroberung Galliens wollten die Römer die Alpenpässe sichern, da sie bei der Überquerung der Alpen immer wieder von den Bergbewohnern überfallen wurden. So entschlossen sie sich, das ganze Alpengebiet zu erobern und in das Römische Reich einzugliedern und eine neue Provinz namens Rätia zu schaffen.
15 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung drangen die beiden Stiefsöhne des Kaisers Augustus mit ihren Heeren in den Alpenraum. Drusus kam über den Reschenpass nach Norden, während Tiberius mit seinem Gefolge von Westen her aus Gallien Richtung Bodensee marschierte, um sich östlich des Bodensees mit dem Heer des Drusus zu vereinen. Die keltischen Vindeliker griffen die Römer an, als diese mit ihrer Flotte den Bodensee überquerten. Die Römer gingen jedoch siegreich aus dieser Seeschlacht hervor. Schließlich konnte der ganze Alpenraum von den Römern eingenommen werden und unser Walgau erhielt den Namen Vallis Drusiana. Früher wurde angenommen, dass der Name vom römischen Feldherrn Drusus abgeleitet war, der durch diese Region zum Bodensee vorgestoßen sein soll. Bis heute ist die Wortherkunft jedoch ungeklärt. Möglicherweise leitet sich das Vallis Drusiana vom vorrömischen Wort „drausa“ (Alpenerle) und dem spätgallischen „droso, drusso“ (Bergerle) ab. Tatsächlich wachsen im ganzen Walgau der Ill entlang Grauerlen.
Die Einwohner unserer Region waren in den größeren Alpentälern vorwiegend Kelten und in den höheren und südlicheren Landesteilen vorwiegend Räter. Als Räter bezeichneten die Römer unterschiedslos die Stämme der Bergbewohner. In unserer Region setzte sich die römische Zivilisation durch, Latein wurde Amtssprache und auch Sprache des Volkes in Form eines Vulgärlateins, dem Rätoromanischen, welches heute noch in Teilen Graubündens gesprochen wird. Aus unserem Tal wurde im romanischen Dialekt das „Valdruschauna“. Das Gebiet umfasste das ganze Illtal und das Vorderland im Rheintal.
Die Alemannen
Als das Römische Reich schließlich schwächelte und langsam zerfiel, plünderten die Alemannen die nördlichen Landesteile des heutigen Vorarlberg. Diese Volksgruppe war ein Zusammenschluss verschiedener germanischer Stämme, welche den römischen Grenzwall, den Limes durchbrachen und ihre Raubzüge bis nach Italien ausdehnten. Später siedelten sich die Alemannen friedlich in unserer Region an. Die vorherrschende Sprache blieb jedoch das Romanische. Als sich im Rheintal die alemannische beziehungsweise deutsche Sprache durchsetzte, wurde das Vallis Drusiana zum Walgau oder das „Walcehgöy“, wie es in einer Chronik des Klosters Zwiefalten aus dem Jahre 1123 nachzulesen ist.
Auffallend ist, dass in allen alten Aufzeichnungen nicht die Bezeichnung „der Walgau“, sondern in moderne Schreibweise übersetzt „das Walgäu“ aufscheint. Somit ist also aus dem Valdruschauna ein welscher Gau bzw. ein welsches Gäu geworden. Das sächliche Gäu für ein bestimmtes Gebiet ist heute im „Allgäu“ enthalten. Heute noch hört man ältere Leute sagen „der kummt miar net ins Gäu“ wenn sie jemanden auf Distanz halten wollen. Das alemannische Gäu entspricht also dem bayrisch-österreichischem Gau.
Die Walser besiedeln die Seitentäler
Nach der Gründung der deutschsprachigen Städte Feldkirch und Bludenz im 13. Jahrhundert durch die Grafen von Montfort und Werdenberg und vor allem durch die Zuwanderung der Walser aus der Schweiz setzte ein weiterer Germanisierungsschub ein. Den Walsern, die auf der Suche nach neuem Lebensraum für ihre Familien und ihr Vieh waren, wurden von den Landesherren (Montforter u. Werdenberger) die höher gelegenen Seitentäler (Brandnertal, Walsertal Laternsertal usw.) zur Verfügung gestellt.
Diese Walser kamen aus dem damals überbevölkertem Wallis, das bis zum Eintreffen der alemannischen Walser welschsprachig (französisch) war. Der Name Walser leitet sich zum einen von der romanischen Bezeichnung Vallis für Tal ab. Zum anderen haben die Walser die ansäßigen Talbewohner des Wallis als Welsche bezeichnet. Somit haben die Walser, deren Name sich von dem romanischen Vallis und/oder vom Wortstamm „wal“ für welsch ableitet, einen großen Beitrag zur Verbreitung der deutschen Sprache im Walgau geleistet.
Romanische und vorromanische Sprachrelikte
Heute erinnern noch viele Orts- und Flurnamen an die Zeit, als in unserer Heimat die romanische Sprache vorherrschte. Beispielsweise das häufig vorkommende Wort Gamp leitet sich vom lateinischem Campus ab und bezeichnet im Rätoromanischen ein Feld, Acker, im Alpengebiet eine ebene Alpe oder den ebenen Platz bei der Alphütte.
Der Name der Sonnenberggemeinde Nüziders könnte sich von „nucis terra“ ableiten, was soviel wie Nussland, Nussfeld oder Nussdorf bedeuten würde. Vielleicht wurde dort auch die Walnuss kultiviert, welche die Römer mit in dem Alpenraum brachten. Das Wort Walnuss beinhaltet ebenfalls den Wortstamm „wal“ wie der Walgau und bezeichnet eben eine welsche Nuss.
Ein vorrömischer Ortsname hingegen ist Göfis, welcher auf das keltische Segavio zurückgeht und die Bedeutung Sieg, Kraft oder Stärke beinhaltet. Die Namensähnlichkeit mit dem spanischen Segovia ist nicht zufällig. Segovia geht auf das iberische Segobriga zurück. In der Sprache der iberischen Kelten bedeutet der Wortteil „sego“ Sieg und „briga“ Berg oder Burg. In Göfis wiederum befindet sich die mittelalterliche Burgruine Sigberg.
Der Ortsname Ludesch bezeichnet das Schwemmland an der Lutz, auf romanisch Ludasco und das Walsertal hieß früher Valentschina.
Viele weiter Orts- Flur- und Bergnamen sowie auch Familiennamen haben romanische Wurzeln. Den Wortstamm wal für romanisch oder welsch finden wir in vielen geographischen Bezeichnungen Europas: Walensee, Walenstadt, Walachei, Walchensee und viele mehr. Auch die Wallonen in Belgien sind diejenigen, die französisch oder welsch sprechen.
Quellen:
Dietmar Urmes „Take it easy“ Etymologische Lerntricks und grammatische Faustregeln“
Karl Heinz Burmeister „Geschichte Vorarlbergs“
Manfred Tschaikner: Das spätmittelalterliche „Land im Walgau“ aus der Schriftenreihe 2
Elementa Walgau
Wikipedia: Segovia
Hans-Gert Braun: Die Walser und ihre Nachbarn - etymologisch gesehen (https://www.vorarlberger-walservereinigung.at/vwvwp/...)
Markus Pastella: "Bludenz und die 'Welschen' (Borgoplatz)" (https://www.markus-pastella.at/...)